„Mit brennender Sorge“ – so beginnt ein Text von Damiano Ratti. Wobei die Frage nach der Urheberschaft des Textes nicht ganz einfach zu beantworten ist, da mindestens noch zwei andere Herren beteiligt waren, und zwar Michael von Faulhaber und Eugenio Pacelli. Alle drei wirkten jedoch im selben Zeitabschnitt der Weltgeschichte und alle drei waren zur selben Zeit Amts- und Würdenträger der katholischen Kirche. Der Text stammt aus dem Jahr 1937 und zu dieser Zeit war von Faulhaber Kardinal und Erzbischof von München und Freising, Pacelli war Kardinalstaatssekretär in Rom und Ratti war der Papst und nannte sich Pius XI. Es ist bemerkenswert und es zeichnet diese Männer in meinen Augen aus, dass sie in der Lage waren, brennende Sorge zu fühlen, denn ich kannte dieses Gefühl bislang nicht. Mehr als ein halbes Menschenleben lang lebte ich sorglos in den Tag und glaubte nicht anders, dies sei das Glück. Sicher hatte ich auch machen Kummer: als meine Mutter schwer erkrankte oder als ich meinen Vater auf einmal nicht mehr telefonisch erreichen konnte. Aber das war keine brennende Sorge. Die brennende Sorge kenne ich erst – und darum staune ich über die drei Kirchenmänner – die brennende Sorge kenne ich erst, seit ich der Vater eines kleinen Kindes bin. Und diese Sorge wird nicht etwa kleiner! Sie wächst mit jedem Tag, mit dem auch das Bewusstsein meiner Verantwortung wächst – und gleichzeitig das Gefühl meiner Ohnmacht. Ich will alles tun, dieses Kind zu beschützen, ihm Sicherheit und Geborgenheit, Liebe und Wärme und Trost und Hoffnung zu geben. Aber was vermag ich schon? Was kann ich schon ausrichten? Gleichzeitig habe ich nie vergleichbares Glück empfunden, wie wenn es mir doch gelingt, dass es Ruhe findet, wenn es sich an mich schmiegt, wenn es lächelt und Geräusche des Wohlbefindens von sich gibt.
Früher, als wir uns noch mit Menschen trafen, die nicht zum selben Haushalt gehörten und als wir noch völlig hemmungs- und bedenkenlos öffentliche Verkehrsmittel benutzten, da konnte es passieren, dass ich mit der letzten Bahn aus der Hauptstadt in mein Dorf fahren musste, um die Nacht im eigenen Bett verbringen zu können. Was dabei nicht passieren durfte, war, dass ich etwa im Zug einschlief und erst wieder nahe der polnischen Grenze aufwachte, wenn der Zug nicht mehr weiterfuhr. Darum blieb ich für die zwei Stationen stehen, was mich natürlich nicht am Einschlafen hinderte. Was mich jedoch immer zuverlässig wieder wach machte, war das Gefühl des Fallens, wenn die Knie nachgaben. Daran erinnere ich mich wieder, wenn ich versuche, unser Kind auf dem Arm in den Schlaf zu wiegen, damit die große Heldin, seine Mutter, wenigstens für zwanzig Minuten in der Nacht ruhen kann.
Nun kenne ich sie also, die brennende Sorge. Und durch sie – und nur durch sie: das Glück. Das einfache, leichte, und sorgenfreie Leben will ich nicht zurück, denn es ist nicht das glückliche. Die Vertreibung aus dem Paradies ist kein Unglück, denn so ein Leben im Paradies wäre bedeutungslos. Das, was dem Leben Bedeutung und Würde verleiht, sind seine Herausforderungen und seine Schwierigkeiten, die wir bestehen oder auch nicht. Ich bin also am Leben. So oder so.

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