Kein Knarren, kein Quietschen

Sent from liedersaenger’s Freewrite
Die Welt, in der wir leben, ist nicht anschaulich. Man kann aber versuchen, irgendeine befriedigende Erklärung für rätselhafte Phänomene zu finden. 

 

Seit meinem Rückzug ins Private ist die Welt nicht unbedingt besser geworden. Das habe ich auch nicht erwartet. Ich muss sogar sagen, ich hatte Schlimmeres befürchtet. Aber selbst inmitten des zänkischen Bergvolks, unter dem ich meine Zuflucht gefunden habe, lässt es sich noch einigermaßen bequem leben. Wenn man die Bequemlichkeit schätzt, ist das schon allerhand. Ich weiß noch, dass mir die Bequemlichkeit schon immer sehr wichtig war. Ich war kein abenteuerlustiges Kind. Wenn es mein schon damals gut gefüllter Terminkanlender zuließ, machte ich es mir lieber zu Hause gemütlich. Als Lektüre hatte ich ein einziges Walt Diesneys Lustiges Taschenbuch, das Tante Hannelore irgendwie über die Grenze gebracht hatte.

Mit dieser Grenze verhielt es sich für mich, wie mit der Grenze des Universums: Ich bekam sie nie zu Gesicht und fühlte mich daher auch nicht an meiner Freiheit beschnitten. Beim Universum liegt der Grund dafür freilich in der Krümmung des Raumes, während die innerdeutsche Grenze durch Sperrgebiete vor der Inaugenscheinnahme durch die Begrenzten geschützt war. Beim Versuch, mir den gekrümmten Raum vorzustellen, stoße ich auch wieder ganz schnell an Grenzen. Die Auswirkungen dieses Phänomens bekommt man allerdings ständig zu spüren.

Es begann damit, dass die Wohnzimmertür knarrte. Das tat sie so laut, dass man sie nicht mehr unbemerkt schließen konnte, selbst wenn man sie nur anlehnen wollte. Das ist in einem Haushalt, in dem immer irgendwo ein kleines Kind schlafen soll, schon ein deutliches Manko. Dann ließ das Knarren zwar nach, dafür fing die Tür jetzt an zu quietschen. Zum Glück verfügt meine schöne Geliebte immer über ein Fläschchen feinstes Manschinenöl, wahrscheinlich um damit die Ventile ihres Holzblasinstruments leichtgängig zu halten. Ich hängte die Tür aus und bestrich die Scharniere mit dem Gleitmittel. Nachdem ich das Brett glücklich wieder eingehängt hatte, war nun die Raumkrümmung einwandfrei messbar. Völlig geräuschlos schwang das Türblatt gegen die Wand und ließ sich uneingeklinkt nicht mehr schließen. Ich hatte jetzt eine binäre Tür, die nur noch zwei Zustände kannte: Auf oder zu. Kein Knarren, Kein Quietschen.

Kein Knarren, kein Quietschen.pdf

Eine Antwort

  1. Avatar von Ulf Renner

    „Die Welt in der wir leben ist nicht anschaulich…“ ist ein bisschen missverständlich formuliert. Die Welt ist schon recht anschaulich. Die grundlegenden Gesetze nach denen sie funktioniert sind es aber nicht.

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